In 2002 habe ich die Diagnose ME/CFS bekommen.
"Gehirnmuskelkater" ist meine sehr freie Übersetzung von
"Myalgische Enzephalomyelitis". Der Begriff ist durch die
Auseinandersetzung mit der Erkrankung entstanden und war Teil
meines Weges, die Diagnose zu akzeptieren. Angemessene Distanz
und ausreichend Humor tun mir sehr gut in schwierigen
Situationen und Umständen.
Für mich passt Gehirnmuskelkater zu
Brainfog/Gehirnnebel, der bei mir seit vielen Jahren dafür
sorgt, dass ich mich oft wie vernebelt fühle, dass meine
Worte nicht raus finden aus meinem Hirn, dass ich mich immer
wieder als deutlich denk- und verstehlangsamer empfinde, als
"eigentlich" für mich üblich, ...
Gehirnmuskelkater passt auch gut zur
Situation, wenn ich mir mehr gegönnt habe als ich vertragen
kann (z.B. zu lange gegartelt).
"Crash" klingt mir zu emotional/dramatisch, "PEM" zu
klinisch/distanziert. Wenn ich spaßfrei drauf bin, spreche
ich allerdings nicht von "Gehirnmuskelkater" sondern von
"Überlastungsreaktion".
Was hilft mir bei Gehirnmuskelkater und auch
beim Akku schonen oder sogar aufladen? Schneckenhauszeit! Für
meine innere Balance war es schon immer wichtig, mich
regelmäßig und ausreichend lange in mein Schneckenhaus
zurückzuziehen. Mit ME/CFS ist es unverzichtbar geworden.
Die Schnecke habe ich
von meinem Sohn :)
Mich mit der anhalternden Erschöpfung (CFS) zu arrangieren,
fällt mir noch immer schwer. Ich fühle mich angekettet, weil so
viel nicht geht, auf das ich Lust habe. Egal wie lange ich
gelegen oder geschlafen habe: Mir ist immer so, als wäre ich
viel zu früh aufgestanden und/oder schon viel zu lange
aufgeblieben. Und manchmal fühlt es sich an, als wäre ich
mitten aus einer Tiefschlafphase gerissen, bräuchte Zeit zu mir
zu kommen, mich zu orientieren (einer der Gründe, warum
Autofahren hin und wieder nicht möglich ist).
An Tagen, an denen ich im Garten sein kann, erzähle ich
mir, dass ich mitten in der Nacht aufgestanden bin, um in
den Urlaub zu fahren. Das verändert mein Fühlen und
Bewerten, macht mich gleichmütiger.
Phasen extremer Erschöpfung habe ich "Schlappe-Krähe-Zeit"
getauft. Und obwohl ich Krähen sehr mag, war das bis 2023 keine
"nette" Umbenennung; vielmehr der Versuch, Zustand und Diagnose
nicht an mich heranzulassen, den Ohnmachtsgefühlen zu entkommen
und auch vor anderen so zu tun, als wäre das ja alles gar nicht
so schlimm.
Als 2022 so massiv wie in 2002/03 gar nichts mehr ging und
Gedanken an "letzte Auswege" gleichzeitig sichere Lebensanker
waren, sprang die Tür auf, die ich zwei Jahrzehnte lang mit so
viel Kraftaufwand zugehalten hatte. Dahinter stand... nicht das
befürchtete Monster... Hinter der Tür stand eine traurige,
ängstliche, sehr schlappe Krähe, die eigentlich nur eines
wollte: In den Arm genommen und lieb gehabt werden.
Auch wenn ich gut mit inneren Bildern arbeiten kann, eine
Entsprechungen im Außen zu haben, finde ich sehr hilfreich.
Darum musste eine Krähe zum Kuscheln her...
Hier ist sie, die "Schlappe Krähe". Ich habe ihr eine
Kuscheldecke gestrickt und eine dicke Schafwollunterlage.
Monatelang hat sie vornehmliche auf meinem Bauch gelegen. Nun
sitzt sie - gut sichtbar, versteht sich - meist in der
Wohnküche.
Wie es dem "Schlappe-Krähe-Anteil" in mir geht, zeigt die
Position der lila Kuscheldecke. Von ohne Decke sitzen bis nur
noch die Schnabelspitze rausgucken lassen - alles ist möglich.
Mindestens einmal am Tag gucke ich, ob es so passt für mich.
Wenn nicht, probiere ich so lange rum, bis das Bild für mich
stimmig ist. Und manchmal muss die Krähe auch einfach wieder
Mal auf meinen Bauch.
"Schlappe-Krähe-Zeit" ist heute eine warmherzige,
wohlwollende, akzeptierende Bezeichung für meine
Erschöpfungszustände.
Wir sind uns nah, die Schlappe Krähe und ich.
Und passen aufeinander auf.