gleichmütig garteln und leben

Gehirnmuskelkater

  • In 2002 habe ich die Diagnose ME/CFS bekommen. "Gehirnmuskelkater" ist meine sehr freie Übersetzung von "Myalgische Enzephalomyelitis". Der Begriff ist durch die Auseinandersetzung mit der Erkrankung entstanden und war Teil meines Weges, die Diagnose zu akzeptieren. Angemessene Distanz und ausreichend Humor tun mir sehr gut in schwierigen Situationen und Umständen.
  • Für mich passt Gehirnmuskelkater  zu Brainfog/Gehirnnebel, der bei mir seit vielen Jahren dafür sorgt, dass ich mich oft wie vernebelt fühle,  dass meine Worte nicht raus finden aus meinem Hirn, dass ich mich immer wieder als deutlich denk- und verstehlangsamer empfinde, als "eigentlich" für mich üblich, ...
Dwayne Reed at English Wikipedia
(Abbildung ist mit Original verlinkt)
  • Gehirnmuskelkater  passt auch gut zur Situation, wenn ich mir mehr gegönnt habe als ich vertragen kann (z.B. zu lange gegartelt).
    "Crash" klingt mir zu emotional/dramatisch, "PEM" zu klinisch/distanziert. Wenn ich spaßfrei drauf bin, spreche ich allerdings nicht von "Gehirnmuskelkater" sondern von "Überlastungsreaktion".
  • Was hilft mir bei Gehirnmuskelkater  und auch beim Akku schonen oder sogar aufladen? Schneckenhauszeit! Für meine innere Balance war es schon immer wichtig, mich regelmäßig und ausreichend lange in mein Schneckenhaus zurückzuziehen. Mit ME/CFS ist es unverzichtbar geworden.

Die Schnecke habe ich  von meinem Sohn :)    

  • Mich mit der anhalternden Erschöpfung (CFS) zu arrangieren, fällt mir noch immer schwer. Ich fühle mich angekettet, weil so viel nicht geht, auf das ich Lust habe. Egal wie lange ich gelegen oder geschlafen habe: Mir ist immer so, als wäre ich viel zu früh aufgestanden und/oder schon viel zu lange aufgeblieben. Und manchmal fühlt es sich an, als wäre ich mitten aus einer Tiefschlafphase gerissen, bräuchte Zeit zu mir zu kommen, mich zu orientieren (einer der Gründe, warum Autofahren hin und wieder nicht möglich ist).

    An Tagen, an denen ich im Garten sein kann, erzähle ich mir, dass ich mitten in der Nacht aufgestanden bin, um in den Urlaub zu fahren. Das verändert mein Fühlen und Bewerten, macht mich gleichmütiger.
  • Phasen extremer Erschöpfung habe ich "Schlappe-Krähe-Zeit" getauft. Und obwohl ich Krähen sehr mag, war das bis 2023 keine "nette" Umbenennung; vielmehr der Versuch, Zustand und Diagnose nicht an mich heranzulassen, den Ohnmachtsgefühlen zu entkommen und auch vor anderen so zu tun, als wäre das ja alles gar nicht so schlimm.
  • Als 2022 so massiv wie in 2002/03 gar nichts mehr ging und Gedanken an "letzte Auswege" gleichzeitig sichere Lebensanker waren, sprang die Tür auf, die ich zwei Jahrzehnte lang mit so viel Kraftaufwand zugehalten hatte. Dahinter stand... nicht das befürchtete Monster... Hinter der Tür stand eine traurige, ängstliche, sehr schlappe Krähe, die eigentlich nur eines wollte: In den Arm genommen und lieb gehabt werden.
  • Auch wenn ich gut mit inneren Bildern arbeiten kann, eine Entsprechungen im Außen zu haben, finde ich sehr hilfreich. Darum musste eine Krähe zum Kuscheln her...
  • Hier ist sie, die "Schlappe Krähe". Ich habe ihr eine Kuscheldecke gestrickt und eine dicke Schafwollunterlage. Monatelang hat sie vornehmliche auf meinem Bauch gelegen. Nun sitzt sie - gut sichtbar, versteht sich - meist in der Wohnküche.
  • Wie es dem "Schlappe-Krähe-Anteil" in mir geht, zeigt die Position der lila Kuscheldecke. Von ohne Decke sitzen bis nur noch die Schnabelspitze rausgucken lassen - alles ist möglich. Mindestens einmal am Tag gucke ich, ob es so passt für mich. Wenn nicht, probiere ich so lange rum, bis das Bild für mich stimmig ist. Und manchmal muss die Krähe auch einfach wieder Mal auf meinen Bauch.
  • "Schlappe-Krähe-Zeit" ist heute eine warmherzige, wohlwollende, akzeptierende Bezeichung für meine Erschöpfungszustände.
    Wir sind uns nah, die Schlappe Krähe und ich.
    Und passen aufeinander auf.

    So dunkle Zeiten wollen wir nie wieder erleben: